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Im Verlauf der Beschäftigung mit dem queeren Podcast „Nerd ist ihr Hobby“ kam bei mir die Frage auf, welche Helden / Charaktere ich eigentlich spiel(t)e.
Die Geschlechterrollen in meinen Spielumfeld sind weiblich / männlich. Das mag daran liegen, dass in meinen Gruppen keine (zumindest mir bekannte) Person sich zur queeren Community zählt. Durchaus üblich ist es, einen Charakter des „anderen Geschlechts“ zu spielen. In meinem Charakterportfolio finde ich einige weibliche Charaktere. Doch wie habe ich sie gespielt?
Am Anfang war der Held
Meine ersten Charaktere waren alle durchweg Arnies. Muskelbepackt, ausgestattet mit möglichst hohen Attributswerten. Könner, Spezialisten ihres Fachs. Und unser Spiel war auch darauf fixiert. Schnelles Steigern, die SL schmiss mit XP um sich.
Das war auch in Ordnung. Denn wir spielten außergewöhnliche Personen, herausragend aus der Masse der einfachen Bevölkerung, berufen die Welt zu retten.
Wenn ich nun meine Charaktermappe durchblättere und einen Blick auf die von mir gespielten Heldinnen werfe, erkenne ich im nachhinein keinen wirklichen Unterschied zu den männlichen Pendants. Auch sie sind mit Höchstwerten ausgestattet. Ihre Beschreibungen sind nahezu austauschbar.
Zu Beginn spielte ich Helden, die eventuell das Geschlecht „weiblich“ hatten.
Rolle und Charakter
Ich kann den Zeitpunkt nicht mehr benennen, an dem ich den Wechsel von unbezwingbaren Helden hin zu Rollen- und Charakterplay vollzogen habe. Was ich damit meine, ist der Wechsel des Fokus weg von Steigern und Maximieren hin zur tatsächlichen persönlichen Entwicklung eines Charakters. Hierzu zählt für mich die Akzeptanz, dass die Charaktere keine vollkommende Helden sind. Sie haben Macken, Fehler, ein eigenes Wertebild. Haben dunkle Flecken in ihrer Geschichte. Sie besitzen Defizite, sind nicht auf allen Bereichen Experten. Weiterer Aspekte, die ich versuche immer mehr Gewicht zu geben, sind Herkunft und Sozialisation.
Inzwischen spiele ich fast ausschließlich Charaktere, die Potential besitzen, sich zu entwickeln. Und ich spiele Charaktere, die mit Einschränkungen zu kämpfen haben.
Ob ich heute eine Heldin anders oder besser spiele, vermag ich nicht zu sagen. Sicherlich spiele ich sie nicht mehr als Heldin im obigen Kontext. Aber ob es besser ist? Ein Rollenspiel ist wahrscheinlich immer geprägt von der eigenen Sicht, der eigenen (Wunsch-)Vorstellung der „Rolle“ sowie den eigenen Vorurteilen. Ich habe auch noch keine Person der queeren Community gespielt. Zum einen habe ich dafür viel zu geringe Kenntnisse. Und die Gefahr in Klischees und Vorurteile abzudriften, ist mir einfach zu groß. Ob in meinen Gruppen hierfür auch die Akzeptanz vorhanden ist, kann ich nicht sagen.
Insofern ist ein weiterer Aspekt wichtig: Die Reflexion des eigenen Spiels. Was spiele ich, wie spiele ich es, warum spiele ich es so? Warum spiele ich etwas nicht? Damit meine ich nicht, dass unser PnP-Rollenspiel zu einer psychologischen Selbstanalyse verkommen soll. Diese Fragen unterstützen mich aber als Spieler, um mein persönliches Spiel zu erweitern und zu verbessern.
Es klappt nicht immer
Dass es nicht immer gut geht eine Charakterentwicklung zu spielen, musste ich auch erfahren:
In einer Shadowrun-Runde wollte ich eine französische Elfe spielen. Zu den aus meiner Vorstellung französischen Eigenheiten (wir sind einige Male als Family in Frankreich gewesen) habe ich auch einen französischen Dialekt in den Dialogen eingebracht. Wie ich schnell feststellen musste war, dass dies in der Gruppe überhaupt nicht gut ankam. Die Gruppe reagierte zunehmend genervt, auch wenn es freundlich verpackt wurde. Letztendlich haben die SL und ich beschlossen, meine Elfe in einem Gefecht sterben zu lassen.
Ein anderer Charakter in SR, den ich spiele, leidet unter ADS (AufmerksamkeitsDefizitSyndrom). Zu Beginn wusste die Gruppe nichts davon, denn man sieht einem ja nicht an, das man von ADS betroffen ist. Als mein Zwerg mit ADS als Scharfschütze auf einem Dach positioniert wurde und einfach länger nichts passierte, begann er die auf dem Dach befindlichen Kiesel in den Schornstein zu werfen und seine Aufgabe nicht mehr wahrzunehmen. Als dann doch was passierte, reagierte er über und erschoss beinahe einen Drachen. Ein Mitspieler war darüber so erbost, dass sein Held meinen Char ins Gesicht schlug und aus dem Fluchtwagen warf. Er wollte mit meinem Zwerg nicht mehr weiterspielen. Es kam zu einer Offtime Diskussion, in der wir vor allem klären mussten, ob wir nun in real aufeinander sauer waren oder nur unsere Chars. Der Zwerg durfte bleiben. Interessanter Weise hatten die Mitspieler das ADS weiterhin nicht im Blick und betrauten meinem Zwerg regelmäßig mit solchen Aufgaben. Als es ihnen bewusst wurde, kam regelmäßig ein „Haben wir den Zwerg damit betraut? Fuck!“.
Aktuell spiele ich in SR eine junge 17 Jährige, die auf der Straße aufgewachsen ist. Eigentlich kann sie nichts wirklich. Sie hatte nie eine Schusswaffe in den Händen gehalten. Sie hat keine Bildung genossen. Einzig ein wenig Magie kann sie anwenden, allerdings wurde sie auch hierin nicht geschult, so dass sie nur wenige Zauber beherrscht. Was sie aber auszeichnet ist Mut und soziale Kompetenz. Auf dieser Basis entwickle ich sie weiter, ohne zu wissen, wohin es sie treiben wird.
Als Spielleiter Charakterentwicklung einfordern
Natürlich kann man Abenteuer spielen, in denen es klare gut / böse – Grenzen gibt. Haudrauf-Abenteuer oder Abenteuer mit klaren Feindbildern. Als Spielleiter finde ich es allerdings höchst interessant, die Spieler an einen Punkt zu bringen, an denen sie moralisch fragwürdige Entscheidungen treffen und sich somit mit ihren Werten auseinander setzen zu müssen.
So sollten die Spieler in einem der letzten Midgard-Abenteuer eine Person im Auftrag der Eltern finden, die angeblich verschollen war. Im Laufe des investigativen Abenteuers fanden die Helden heraus, dass die gesuchte Person wahrscheinlich pädophil war. Hieraus ergab sich eine Diskussion, ob der Auftrag abgebrochen werden sollte, die Person gefunden und der Justiz übergeben werden müsste oder ob sie ihn nach dem Auffinden einfach aus dem leben Pusten sollten.
In einer Fragments-Pulverdampf Runde spielten wir ein investigatives Abenteuer, in denen die Nichtspielercharaktere (NSC) im breiten Graubereich von Gut und Böse bewegten. Der Umgang mit diesen NSC forderte von den Spielern immer auch eine Abwägung, wie weit sie sich selbst in diesen Graubereich hineinbewegen wollten.